Autorenportrait Ulrich Karger

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VERQUER

(Anfang s. S. 93 f. in der Erstausgabe)

K I N D E R W U N S C H
denn bei gott ist kein ding unmöglich

Empfangen im guten alten Kaiserreich, Kindheit in den schlimmen Jahren der Weimarer Republik - da war doch keine rechte Ordnung! - wußten sie beim Erwachsenwerden unter lautem Heilali noch nichts voneinander.

Zwölf Jahre später waren sie zwölf Jahre älter und noch einmal davongekommen - zwar mit Verlusten, aber gesund genug, um "von vorne" anzufangen. Ein bißchen hatte man ja auf der Flucht herübergerettet und sich von der 1000-jährig-gestrigen Ordnung wieder auf die ewige besonnen. Das viele Weiß an der Braut des nicht mehr taufrischen Paares spiegelte sich in der ebenso persilweißen Weste ihres Bräutigams. Es hat sie doch sehr in ihrem Entschluß zur ehelichen Gemeinschaft bestärkt, daß sie unabhängig voneinander, früher einmal (ein Mal!) das christliche Zentrum gewählt hätten.

"Wirklich!" und "So ein Zufall, nicht?"

Der humanistisch gebildete Pfarrer wußte das zu schätzen, und es lag ihm das Ovid'sche Bild von Philemon und Baucis auf der Zunge, als er den beiden auf ihr Wohl zutrank.

Da mochte sein was wollte, Schneetreiben oder herrliches Ausflugswetter, in ihnen hatte er verläßliche Gottesdienstbesucher, nicht nur am Sonntag, sondern auch zu den diversen Andachten in der Fastenzeit oder zu Ehren der Gottesmutter Maria.

Einander untergefaßt schritten sie zu ihrem höchstens von ahnungslosen Touristen bestrittenem Stammplatz neben dem Entree zur Sakristei, und ebenso untergefaßt reichten sie dem Herrn Pfarrer zum Abschied die Hände, sie lächelnd die rechte, er mit entschuldigendem Augenzwinkern stets die linke.

Im Laufe der Jahrzehnte hatten sich die beiden auch in der Laienhierarchie hochgedient.
Er begleitete sie zum bibelfesten Frauenkreis genauso selbstverständlich hin, wie er sie nach dem von ihr in festen Bahnen gestalteten Kindergottesdienst wieder abholte. Und sie erzählte jedem, der es hören wollte, daß er zu den ersten Nicht-Geistlichen zählte, welche gemeinsam mit dem Herrn Pfarrer die Kommunion austeilen durften. Jetzt war er sogar ein 12er-Honoratior der Kirchengemeinde und ließ sich allgründonnerstags vom Pfarrer die Füße waschen - natürlich nicht wirklich waschen! Das wurde eine Stunde vorher ausgiebig von eigener Hand besorgt und danach mit den nur für diesen Tag gekauften weißen Socken geschützt. War das Ritual ausgesessen und mit einer Flasche würzigen Meßweines belohnt, wurden zu Hause als erstes jene weiße Socken abgestreift und noch in Ahnung der kaufhausfrischen Falten zusammengelegt. So hatten sie es zu einem ansehnlichen Bündel wohlverwahrter Reliquien gebracht, die in sich die Auren stellvertretend apostolischen Dienstes bargen.

Für die alten Krummbiegels war der zuprostende nun schon der dritte Pfarrer, der ihre Haltung zu würdigen wußte, und seinen dereinst letzten Gruß über dem offenen Grabe würden sie sicher nicht zu fürchten haben: Philemon und Baucis erkannten die göttlichen Besucher Zeus und Hermes nicht und bereiteten diesen nach wilder Jagd ihr einziges Geflügel zu; die Krummbiegels aber fanden ihren Gott regelmäßig zur festgesetzten Stunde, da, wo es angebracht war. (...)



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