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Textenetz | Kommentar: Der Verein, der bin ich


Ein Kommentar von Ulrich Karger.
Über Vereinsmeiereien in der Literatur und ihre Alternativen
(Für das textenetz leicht überarbeitet)

Erstveröffentlichung: Österreichisches Literaturforum 2 / 1991



Ach, wär' das schön, wenn Alois Eders Partherpfeile lediglich die Groteske niederösterreichischer Vereinsmeierei getroffen hätten.
Ein Stirnrunzeln, ein Schmunzeln und die satte Befriedigung, damit in einer Weltstadt mit Hauptstadtallüren nicht gemeint zu sein - ach, wär' das schön!
Literaturschaffende in Berlin teilen sich offenbar wie überall in einsame Steppenwölfe oder intregant sich selbst beweihräuchernde Rudel auf. Den Herdentieren den Vorwurf zu machen, in Herden leben zu wollen, kommt mir gar nicht in den Sinn, ebensowenig wie ich im Steppenwolf das non plus ultra künstlerischer Entfaltung sehe.
Aber gegen Selbstbetrug habe ich schon etwas.
Deshalb bat ich auch meinen geschätzten Chefredakteur, künftig keine Werbung mehr für sogenannte "Druckkostenzuschußverlage" abzudrucken.
Es ist recht, jedoch auch nur noch billig, die Interna von Literaturvereinen o.ä. in Glossen auszuschlachten, so wie Kohlwitze inzwischen nur noch schal nach Leichenfledderei schmecken.
Wenn der Anfänger den Inhalt seines mit Herzblut beschriebenen Stückchen Papier darbringt, und er daraufhin mit der lautstarken Ignoranz seiner Zuhörer gestraft wird ... Ja, wer kennt das nicht?
Entscheidend ist das Bedingungsgefüge jedweder solchen Gruppierung.
Anfänger die in Anfängerselbsthilfegruppen landen, werden therapeutische Erfahrungen machen können. Die Einzigartigkeit des Textes wird z.B. so erfahren, daß offenbar nur der Autor seinen Text versteht. Oder: Soviele Schreiberlinge gibt es, und die wollen alle berühmt werden!
Am liebsten erzähle ich in diesem Zusammenhang eine Anekdote, die ich so in der "Neuen Gesellschaft für Literatur / Untergruppe Prosa" erleben durfte.
Jemand hatte die von mir sofort begeistert unterstützte Idee vorgetragen, doch von allen Texten, die allmonatlich zur Diskussion stehen, Kopien anzufertigen. Diese Kopien sollten dann nicht zuletzt jenen zugutekommen, die für eine Lesung mal keine Zeit gefunden haben. Zudem böte es auch die Gelegenheit, ein kleines Archiv aufzubauen ...
"Ja, aber - dann könnte ja jemand meine Ideen klauen, solange sie noch nicht abgedruckt sind!"

* * *

Nein, den Vereinen ist kein Vorwurf zu machen. Mitglied bleibt jeder nur solange, bis er sich selbst und seine eigentlichen Absichten durchschaut. Immerhin lernt man Leute kennen, und unter den vielen sind vielleicht auch ein, zwei, mit denen man sich nach seinem Austritt treffen und eventuell auch austauschen kann. Wer tatsächlich öfter und nicht nur für Beiträge in Anthologien in Verhandlungen mit Verlagen treten kann, sollte der Gewerkschaft, d.h. dem Schriftstellerverband beitreten. Jedoch nicht, weil der so gewichtig wäre, Aussagen politischer Tragweite zum besten zu geben, sondern weil die Mitgliedschaft darin in der BRD derzeit die einzig mögliche Form von Rechtschutz für Schriftsteller darstellt.
Wer hartnäckig genug ist, lernt früher oder später jene Autoren und Autorinnen kennen, die einem tatsächlich weiterhelfen können.
Manchmal muß man einfach nur ein Telefonat riskieren. Meine Erfahrung dabei: Je berühmter, desto freundlicher. Die prominent Integeren haben allerdings meist keine Zeit, da sie für ihre keineswegs berauschend hohen Tantiemen wirklich viel arbeiten müssen - nicht nur am Schreibtisch. Deren Nein sollte man dann auch, ohne beleidigt zu sein, mit gebotener Höflichkeit akzeptieren. Nimmt sich aber eine oder einer aus diesem Kreis Zeit für einen, hat ihre/seine Aussage in der Regel doch um einiges mehr Gewicht, als die eines anderen Anfängers.
Später mögen sich auf einer mittleren Ebene, der m.E. auch das Österreichische Literaturforum gewiß angehört, Zweckbündnisse und übergreifende Freundschaften ergeben. Alles wunderbar - nur bitte keine eifersüchtelnd inzestiösen Vereine, die mit ihrer Kommazählerei jede Kreativität im Keim ersticken ...
Was anderes wäre eine interessierte Leserschaft, die sich zum Ziel setzt, AutorInnen zu fördern und einzuladen! Aber wo, bitte schön, gibt es denn bei all den Schreiberlingen noch Leser und Leserinnen?

Ulrich Karger




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