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Thomas Lehr

Manfred - Bekenntnisse eines Außerirdischen

Roman. Hanser Verlag, München 2023. 334 Seiten. 26,00 Euro. ISBN: 978-3-446-27749-6, >>> Amazon
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Manfred ist Mitte 30, einsam, blass und schmerbäuchig. Mehr schlecht als recht schlägt er sich im Homeoffice als Softwareprogrammierer durch. Damit gilt er nach intergalaktischen Maßstäben als höchst durchschnittliches Exemplar der Gattung Homo sapiens. Dennoch gelang es Manfred - völlig unbewusst - intergalaktischen Alarm auszulösen, der signalisiert, dass er wie zuvor nur vergleichsweise große Geister im Format eines Hieronymus Bosch, Descartes oder Einstein die Fähigkeit haben könnte, die Existenz von Außerirdischen wahrzunehmen …
Ob "Manfred - Bekenntnisse eines Außerirdischen" tatsächlich, wie vom Verlag angekündigt, der "irrwitzigste Roman" ist, den der vielfach auch hochdotiert preisgekrönte Thomas Lehr je geschrieben hat, sei dahingestellt.
Immerhin aber sind in diesem Roman durchaus witzige, auch irrwitzige Passagen nachzulesen, die sich aus der Erzählperspektive einer multiplen, sich deshalb mit "wir" kennzeichnenden außerirdischen Persönlichkeit namens Zorrgh auf die Gattung Mensch ergeben. Ihre Agententätigkeit besteht in der Hauptsache darin, planetare Zivilisationen auf den Nachweis von zehn Qualifikationen hin zu überprüfen und bei deren Nicht-Nachweis alles dafür zu tun, damit kein Exemplar einer solchen Zivilisation etwas von dem Verbund all der zahlreichen außerirdischen Existenzen erfährt.
Um dieser Aufgabe nachzukommen, ist Zorrgh bereits seit Jahrhunderten auf Erden und vermag einen wie Manfred auch einfach zu übernehmen und zu "boostern" bzw. ihm schlechte Angewohnheiten wie Alkoholismus, Kartenspiel und Trägheit auszutreiben und ihn dadurch fitter, ansehnlicher und last, but not least auch reicher zu machen. Und das erweitert wiederum die Kontaktmöglichkeiten von Manfred, der nun u.a. sogar wieder bei seiner alten Jugendliebe Sabine Chancen haben könnte, die Zorrgh wiederum nicht von ungefähr an Ada Lovelace erinnert, die bereits Anfang des 19. Jahrhunderts allererste Computerprogramme zu erstellen vermochte. Und tatsächlich wird es am Ende eine Inkarnation dieser Frau sein, die Zorrgh deren eigenen Grenzen vorführt.
Dieses Szenario erlaubt dem Autor an vielen Stellen seinem Affen zitierbarer Belesenheit Zucker zu geben und zugleich bei vielen seiner Protagonisten das Gefälle vom Menschlich, allzu Menschlichen in all seiner hohlen Eitelkeit vorzuführen.
Nur, diese irdische Welt der Menschlinge wirkt wie ein rein theoretisches Abziehbild bzw. die Karikatur seiner selbst und lässt konkrete aktuelle Bedrohungen wie Klimakrise, Kriege und zunehmend autokratische Herrschaftsstrukturen außenvor, um stattdessen nur die Binnenfrage nach der Nicht-Wahrnehmung der Außerirdischen gleich einer verspäteten "Kir Royal"-Fernsehfolge abzuhandeln. Diese Art einer per se gesetzten, wenn auch ironisch gebrochenen Unzulänglichkeit der "Menschlinge" dient damit lediglich als Kulisse für einen selbstgefälligen Außerirdischen, der sich am Ende trotz all seiner Möglichkeiten auch nicht allzu sehr von den Menschlingen zu unterscheiden scheint.
Das Konkrete (und inhaltlich am tiefsten bohrende) scheint paradoxerweise am ehesten noch über die Meta-Ebene mittels der eingestreuten Zitate besagter zehn Qualifikationen auf, von denen die erste lautet:
Bedingungslose Garantie von komfortabler Wohnung, variantenreicher Kleidung und anspruchsvoller Ernährung nebst kommodem Taschengeld für ausnahmslos jedes Mitglied der Zivilisation!
Während die zehnte als letzte Qualifikation in einem zynischen Abgesang aufgeht: Zivilisationen, die von militärisch überlegenen Mächten zur Vernichtung bestimmt oder zur Beteiligung an der Vernichtung ganzer Zivilisationen gezwungen werden, können ihre Würde und ihr Ansehen im Universum erhalten durch die vorauseilende komplette Auslöschung ihrer selbst.
Haha.
Das ist nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut oder gar sehr originell - denn da gab es einen Terry Pratchett, der mit seinen ab Mitte der 1980er erschienenen Scheibenwelt-Romanen noch um Einiges witziger und zugleich in sich konsistenter war.
Denn wieso sollen überhaupt Außerirdische verhindern wollen, von Menschen gesehen zu werden? Welche Gefahr sollte das für sie respektive andere Zivilisationen im Universum bedeuten, wenn die Menschen jene unter ihnen, die Außerirdische erkennen entweder als verrückt brandmarken oder wie Galileo Galilei allein schon mit der Erkenntnis zu Form und Position der Erde mit der Hinrichtung bedrohen? Und ohne kontrollierende außerirdische Agenten wie Zorrgh wäre die Gefahr ihrer Entdeckung ja per se nahe Null gesetzt, oder? Und sollten die Menschen doch irgendwann tatsächlich Außerirdische erkennen und wahrnehmen, wären solche wie Zorrgh doch angesichts ihrer weit reichenden Überlegenheit stets in der Lage, eine etwaig durch die Menschen konkret erwachsende Bedrohung für das Universum schnell zu beenden - ganz davon abgesehen, dass die Menschen auch bei so einer Gelegenheit wohl weit eher zur Selbstzerstörung neigen, denn zu einer weltweit vereinten Aktion in der Lage sein würden.
Summa summarum also ein nettes, zuweilen auch unterhaltsames l'art pour l'art, das der Autor hier hervorgebracht hat, auch wenn dem Ganzen ein wirklich stichhaltiger Erzählgrund zu fehlen scheint.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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